2019 sollte das Jahr werden, in dem wir unsere Familie vergrößern wollten und mein Mann und ich uns für ein gemeinsames Kind entschieden. Ende April fiel der Test positiv aus und auch die typischen Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Kreislaufschwäche blieben nicht aus. Alle Routine-Untersuchungen verliefen ohne Probleme. Nach der 12. Woche erzählten wir unseren Eltern und Freunden davon. Zudem beschlossen wir, noch im Juli standesamtlich zu heiraten. Es gab also viel Grund zur Freude. Eine Woche nach unserer Hochzeit stand die Feindiagnostik an. Mein Mann nahm sich extra frei und wir fuhren etwas aufgeregt, aber ansonsten guter Dinge zum Untersuchungstermin. Im Wartezimmer machte sich unser kleines Mädchen das erste Mal mit einem „Purzelbaum“ in mir bemerkbar. Während der Untersuchung wurde uns bestätigt, was wir bereits wussten – wir bekommen ein Mädchen. Arme, Beine und Kopf wurden vermessen. Der sehr nette Pränataldiagnostiker, zu dem wir sofort Vertrauen hatten, hielt uns die ganze Zeit über die Untersuchung auf dem Laufenden. Doch dann wurde er plötzlich still. Nach einigen Minuten, sagte er, dass ihm das Herz nicht gefällt und er es sich weiter anschauen müsse. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich auf der Untersuchungsliege lag und nicht wusste, was ich denken sollte, beendete er den Ultraschall und klärte uns über die Ergebnisse auf. Unsere Tochter hat eine komplexe Herzfehlbildung. Er zeigte uns an einem Herzmodell, was alles nicht stimmte mit dem Herz unserer Tochter und welche Schritte nach der Geburt unweigerlich auf uns zukommen würden. Denn ohne OP würde sie nach der Geburt wohl nicht überleben. In diesem Moment dachte ich noch daran, dass ja viele Kinder mit Herzfehlern zur Welt kommen und diese nach kleinen Eingriffen praktisch repariert sind. Im nächsten Satz des Gesprächs sprach unser Arzt jedoch darüber, dass bei dieser Schwere der Fehlbildung er uns auch über die Möglichkeit eines Spätabbruchs informieren muss. In meinem Kopf ergab das alles keinen Sinn. Vor einer Stunde war doch noch alles gut und nun sollten wir über das Leben unseres Kindes entscheiden? Ich fühlte mich plötzlich so allein auf der Welt. Wir? Ein herzkrankes Kind? Wieso wir? Alle bekommen gesunde Babys und unseres soll krank sein?
In den folgenden Tagen suchten wir einen zweiten Pränataldiagnostiker auf, führten ein Gespräch mit einem führenden Kinderkardiologen und wurden in einem Familienzentrum beraten. Es folgte ein Gespräch mit einer Humangenetikerin und anschließend die Fruchtwasseruntersuchung, um mögliche genetische Ursachen auszuschließen. Während der Autofahrten von einem zum nächsten Termin weinte ich immer wieder, mein Mann ebenfalls. Wir waren so ratlos und verzweifelt. Wie soll man eine solche Entscheidung treffen?
Mein Mann und ich sprachen nach den Untersuchungen immer wieder alleine und mit unseren Eltern über die Folgen der einen oder anderen Entscheidung für unsere Familie. Die vielen Monate in einer Herzklinik nach der Entbindung, die ständige Angst, dass die OPs schiefgehen, dass Medikamente nicht wirken, dass unser Kind nur sehr eingeschränkt aufwachsen kann oder jeder Schnupfen plötzlich lebensgefährlich werden konnte. Immer mehr fühlte ich mich nicht nur von der jetzigen Situation, sondern von der Vorstellung einer Zukunft mit einem herzkranken Kind überfordert und verfluchte mich gleichzeitig für meine Gedanken. Mit der Liebe zum Kind wird doch alle gut. Oder nicht? Irgendwann sprach ich meinem Mann gegenüber meine Gedanken laut aus… ob er mich immer noch liebt und unterstützt, wenn ich die Schwangerschaft nicht fortführen kann und will? Er versicherte mir, dass wir alles gemeinsam schaffen, egal wie wir uns entscheiden, doch zu diesem Zeitpunkt waren wir einer endgültigen Entscheidung bereits sehr nah.
Sommerurlaub – Erst hatten wir Hemmungen in einer solchen Situation überhaupt in den „Urlaub“ zu fahren, aber alle Ärzte rieten uns dazu, die Chance auf Abstand zu nutzen. Wir sollten unsere Gedanken ordnen, alles sacken lassen und vor allem keine vorschnelle Entscheidung treffen. Und ja, wir konnten die Insel, die Sonne, das Meer, Ausflüge und das Essen genießen und einfach alles für kurze Zeit vergessen. Auch wenn unser kleiner Schatz in meinem Bauch vielleicht spürte, was in mir vorging, wie ich mich emotional versuchte abzuschotten, so konnte sie dennoch ein Teil dieser unbeschwerten Familienzeit sein. Die Realität holte mich ein, als der Flieger wieder in Deutschland landete…
Es folgten erneute feindiagnostische Untersuchungen gemeinsam mit einem weiteren Kinderkardiologen der Herzklinik. Hierbei wurde uns erneut erklärt, wie genau der mehrschrittige OP-Plan nach der Geburt in den ersten 1,5 Lebensjahren unserer Tochter aussehen würde und es fielen immer wieder die Worte: wenn das Medikament denn wirkt…., wenn die OP gut verläuft,… wenn dann alles so klappt, wie vorgesehen. Meinem Mann und mir waren das zu viele „Wenns“. Die Vorstellung, bei jedem Schritt auf diesem Weg immer wieder um das Leben meiner Tochter zu bangen und sie immer wieder neuen medizinischen Eingriffen auszusetzen mit dem Risiko, sie dann vielleicht doch zu verlieren, machte mich so unendlich traurig. Ich fühlte mich dem nicht gewachsen.
Schweren Herzens und unter Tränen teilten wir unserem betreuenden Arzt mit, dass wir die Schwangerschaft nicht fortführen können. Er vereinbarte daraufhin einen Termin in einer Klinik, die uns in unserer Situation unterstützen würde.
Etwa drei Wochen nach der Feindiagnostik, dem Tag, an dem unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt und unsere Hoffnung auf ein gesundes Baby zerstört wurde, fanden wir uns in der Klinik wieder. Nach der Einleitung der Geburt und furchtbaren Wehen, kam unsere kleine Tochter als Sternenkind auf die Welt. Wir konnten sie danach über Nacht bis zum Mittag bei uns behalten, mit ihr kuscheln, uns von ihr verabschieden. Noch nie hatte ich so viel Liebe und gleichzeitig so viel Trauer gespürt. Ein winziges, unschuldiges Wesen mit perfekten kleinen Fingern und einer süßen Stupsnase … sie sah aus als würde sie schlafen.
Wir denken jeden Tag an unsere Tochter und haben uns Erinnerungen geschaffen. Unser Engel kann nicht bei uns sein, ist aber immer in unserem Herzen. Trotzdem vermissen wir sie schmerzlich. Ich tröste mich in Momenten, in denen die Trauer wieder mal hochkommt, mit dem Gedanken, dass sie von Ihrer Wolke auf uns und unsere anderen Kinder aufpasst und wir sie eines Tages wiedersehen und sie in die Arme schließen können.
- Das ist die Geschichte von unserer Sternenprinzessin, unserem Sternenkind -
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